THEMA magazin: Frau Storch, es ist früh- morgens, es regnet, ich soll aus dem Bett und ich bin so gar nicht motiviert, mir das anzutun. Ist das ein klassisches Motivations- problem? Maja Storch (MS): Nicht im wis- senschaftlichen Sinn. Der Begriff „Motivation“ wird für sehr viele verschiedene Zustände benutzt. Vergleichbar mit dem Wort „Liebe“, das auch für jeden Menschen etwas ganz anderes bedeutet. Wie definiert sich dann die Motiva- tion aus wissenschaftlicher Sicht? MS: Aus wissenschaftlicher Sicht ist Motivation eine Gefühlsverfassung, die einen dazu bewegt, gewisse Dinge zu tun. Es ist ein innerer Drang, der auch eine körperliche Komponente hat, was bei Tieren gut zu beobachten ist. Tiere bewegen sich körperlich instinktiv dorthin, wo es ihnen gut geht, wo sie gute Lebensbedingungen finden – so wie auch das Strudelwürmli, das wir in unserem Institut als Bild verwenden, um das emotionale Erfahrungsge- dächtnis verständlicher zu machen. Motiviert sind wir also, wenn wir uns dorthin bewegen, wo wir uns wohlfühlen? MS: Motivation kommt aus dem Lateinischen „movere“, was „bewe- gen“ heißt. Für die Wissenschaft ist die Tatsache superinteressant, dass Menschen sich von sich aus ganz gezielt in Bewegung setzen können. Wir nennen das die intrinsische Motivation. Im Gegensatz zum Tier kann der Mensch Dinge tun, weil er es will. Und wenn Sie den überwie- genden Teil Ihrer Zeit so zubringen, dass Sie sagen „das, was ich mache, das will ich auch“, dann sind Sie ein glücklicher Mensch. Das ist der Idealzustand. Um bei dem Beispiel des verregne- ten Morgens mit dem gemütlichen Bett zu bleiben: Das heißt, mein Schreibtisch müsste an dem Tag auf mich verzichten, weil mein innerer Drang mich so gar nicht in Richtung Dusche zieht. Aber das geht doch nicht? MS: Na ja, es kommt eben darauf an, was die Menschen persönlich gerne machen. Was ihrem Wesen ent- spricht. Es gibt Menschen, die ste- hen furchtbar gerne früh auf. Und es gibt Selbstmanagementtechniken, mit denen sich Menschen dazu brin- gen können, gewisse Dinge in ihrem Leben umzusetzen. Techniken, die das besagte Strudelwürmli mit ins Boot holen. Vielleicht lockt die Vorfreude auf eine duftende Tasse Kaffee oder die nette Kollegin aus „Man kann Selbstmanage- menttechniken erarbei ten, die einen durch diese eine Situation bringen“ dem Bett. Diejenigen, die etwa Ar- beitszeiten haben, bei denen sie sich dauerhaft mit frühem Aufstehen quälen, müssen sich die Frage stel- len, ob sie eigentlich im richtigen Biotop leben. Oder ob es für sie und ihre Bedürfnisse nicht ein besseres Biotop gibt. Ich habe einen Freund, der hat jahrelang Nachtschichten gemacht. Für viele Menschen wäre das unerträglich. Mein Freund ist aber auch Künstler und konnte sich so sein Leben perfekt einteilen – für ihn waren das optimale Lebens- bedingungen. SAMARITERS TIF TUNG MAGA ZIN · 25/2024 Maja Storch, Jahrgang 1958, hat Psychologie, Philosophie und Pädagogik studiert und ist Jung’sche Psychoanalytikerin. Sie ist Autorin zahlreicher Sachbücher sowie In- haberin, Mitbegründerin und wissen- schaftliche Leiterin des Instituts für Selbstmanagement und Motivation Zürich (ISMZ), eines Spin-offs der Universität Zürich. 11 Das ist der Idealfall, aber es gibt doch immer Dinge, die ich einfach tun muss, die mir vielleicht gar nicht gefallen, die ich vielleicht auch brauche, um ein Ziel zu erreichen? MS: Da fällt mir ein Beispiel ein: Wir hatten einen Rohrbruch und da war ein Sanitärfachmann bei uns, ein Geselle, der gerade dabei war, seinen Meister zu machen. Er klagte, dass in der Meisterschule die Berechnungen zu Rohrgefällen und erforderlichen Rohrdurchmes- sern, diese ganze Mathematik und Physik, ihn furchtbar quälen. Sein Beruf macht ihm unglaublich Spaß, er will den Abschluss, aber er hat diese eine Hürde. Ich habe ihm angeboten, ihn eine Stunde zu coachen. Im Grunde wollte der junge Mann ja in seinem Beruf arbeiten. Es musste nur diese eine Hürde genommen werden. Sein emotionales Erfahrungsgedächtnis, sein Würmli also, sträubte sich ge- gen Mathematik und Physik. Man kann in einem solchen Fall durchaus Selbstmanagementtechniken erar- beiten, die einen durch diese eine Situation bringen. Dann jubiliert der Wurm nicht, aber er ist im Boot.