EDITORIAL Liebe Leserinnen und Leser, das Jahr neigt sich dem Ende zu. Ich will noch nicht allzu weihnachtlich sein, aber ich freue mich sehr auf das Weihnachtsfest. Es kommt mit der Botschaft vom Frieden auf Erden in eine friedlose Welt, die uns sehr nahe gerückt ist. Es kommt mit dem himmlischen Halleluja in den Sorgenkosmos, der uns umgibt. Es kommt mit diesem wunderbar-kraftvollen Fürchtet euch nicht hinein in das beunruhigende Konglome- rat aus Energiekrise, nachhallender Coronapande- mie, Inflation, wankenden Lieferketten und Klima desaster, das uns, durchaus zu Recht, Angst einjagt. Weih nachten unterbricht – oder irritiert – den Lauf der Welt auf berührend-wohltuende Weise. Anders als es Friedrich Nietzsche im 4. Buch der fröhlichen Wissenschaft gesehen hat, öffnet Weihnachten eine Tür, die uns begrenzten Menschen eine wunderbare Möglichkeit eröffnet. Der Mensch – Sie und ich – kann (anders als Nietzsches Übermensch) „vor einer letzten Weisheit, letzten Güte, letzten Macht stehen bleiben und seine Gedanken abschirren.“ Menschliche Ange- wiesenheit und göttliche Unverfügbarkeit begegnen sich an Weihnachten nicht im Modus der Angst, son- dern im Modus der befreienden Zuwendung. Weih- nachten unterbricht mich, richtet mich aus und macht mich frei, in meinen kleinen Teil die Verantwortung für die Welt zuversichtlich einzutreten. Die Brücke von der weihnachtlichen (Vor-) Freude hin zum Thema „Arbeit und Freizeit“, ist die Unterbre- chung. Den nach-paradiesischen Zustand beschreibt die Bibel mit den Worten: „Im Schweiße deines An- gesichts sollst du dein Brot essen“ (1. Mose 3,19). Zwei zentrale Aspekte: Arbeit ist anstrengend und Arbeit macht satt. Aber aus dem Duo wird biblisch schnell ein Trio: „Sechs Tage sollst du deine Arbeit tun; aber am siebenten Tage sollst du ruhen, auf dass dein Rind und Esel sich ausruhen und deiner Sklavin Sohn und der Fremdling sich erquicken“ (2. Mose 23,12). Eine min- destens epochale Aussage. Der siebte Tag, der andere Tag. Es entsteht ein Rhythmus aus Arbeit und Ruhe oder Erholung. Nicht nur für die, die es sich leisten können, sondern für alle. Die Grundidee haben wir übernommen. Es braucht Unterbrechungen der Arbeit, SAMARITERSTIFTUNG MAGAZIN · 22/2022 weil der Mensch mehr ist als ein Arbeitstier. Es braucht Unterbrechungen, in denen Zeit ist für die Seele, den inneren Menschen. Es braucht Unterbrechungen, in denen wir tief einatmen und das Leben feiern, um dann einen langen (Arbeits-) Atem zu haben. Doch aus dem lebensdienlichen Rhythmus ist oftmals eine Trennung geworden. Das hat wesentlich zu tun mit der tayloristischen Entfremdung des arbeitenden Menschen von seiner (hoffentlich) satt machenden Arbeit. Eine Konsequenz ist, dass Freizeit zur erstre- benswerten Zeit wird, Arbeit zur belastenden Zeit. Das halte ich für äußerst bedauerlich. Denn auch Arbeit ist Zugang zu Sinn, zu Teilhabe, zu sozialem Leben. Arbeit an sich mag sehr unterschiedlich sein und es ist klar, dass sie nicht menschenverachtend sein darf. Ich will drei Aspekte nennen, die Arbeit als positi- ven Lebensraum qualifizieren. Genau wie die Freizeit. 1. Menschen möchten wahrgenommen werden. Des- halb ist Arbeit als (produktiver) Begegnungsraum zu definieren. 2. Menschen möchten sich als wirksam erleben. Deshalb ist Arbeit als Raum zu begreifen, in dem Menschen praktisch erleben, dass sie einen wichtigen Beitrag leisten. 3. Menschen sind auch „auf Arbeit“ Menschen. Deshalb ist Arbeit zu verstehen als soziale Interaktion auf transparenter Wertebasis. Drei Aspekte, die aus der Trennung vielleicht wieder einen Rhythmus machen können? Wie immer sehr unfertig. Eher ein schreibendes Sor- tieren von Gedanken im Vorläufigen. Bestenfalls Denk-Anstöße. Lauschen Sie hinein in die Beiträge dieses Magazins. Begegnen Sie dem Spannungsfeld und dem wohltuenden Rhythmus. Viel Freude beim Lesen – und eine angenehme weihnachtliche Unter- brechung. Frank Wößner Vorstandsvorsitzender